Der Fall Peng Shuai: Rücktritt vom aktiven Tennissport (2024)

Die neusten Entwicklungen

Die chinesische Tennisspielerin Peng Shuai hat Anfang November den früheren chinesischen Vizeministerpräsidenten Zhang Gaoli des sexuellen Missbrauchs beschuldigt. Seither ist die 35-Jährige praktisch nicht mehr in der Öffentlichkeit aufgetreten.

Christof Krapf, Katrin Büchenbacher, Daniel Germann, Philipp Bärtsch

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Die neusten Entwicklungen

  • Die chinesische Tennisspielerin Peng Shuai hatihren Rücktritt vom aktiven Tennissport bekanntgegeben. Es sei unwahrscheinlich, dass sie aufgrund ihres Alters und der langen Trainingspause noch einmal antreten werde, sagte sie in einem Interview mit der französischen Sportzeitung «L’Équipe»am Sonntag (6. 2.). Ihre letzten Partien im Einzel und im Doppel bestritt Peng im Februar 2020 am Turnier in Katar. Die jüngste Wendung in der Affäre wirft allerdings noch mehr Fragen auf.
  • Im selben Interview hatPeng bestritten, den ehemaligen Vizeregierungschef Zhang Gaoli der sexuellen Nötigung beschuldigt zu haben.In dem in einem Hotel in Peking am Rande der Winterspiele geführten Interview mit der Sportzeitung «L’Équipe» gab die 36-Jährige am Sonntag (6. 2.) an, dass sie nie jemanden eines sexuellen Übergriffs beschuldigt habe und dass sie selbst ihren Social-Media-Beitrag vom November, der eine solche Behauptung zu enthalten schien, gelöscht habe. Bei dem Interview wurde sie vomStabschef des Nationalen Olympischen Komitees (NOK) Chinas begleitet, der beim Interview als Übersetzer fungierte.Auf die Frage nach ihrem Leben seit November erklärte Peng, dass es «so ist, wie es sein sollte: nichts Besonderes . . .». Sie sei auch niemals verschwunden gewesen, «jeder konnte mich sehen». Es sei ihr aber unmöglich gewesen, auf so viele Nachrichten zu antworten. «Aber mit meinen engen Freunden bin ich immer in engem Kontakt geblieben, ich habe mit ihnen diskutiert, ihre E-Mails beantwortet, auch mit der WTA gesprochen», sagte die Chinesin, die beim Interview «in guter Verfassung erschien», wie die zwei Journalisten, die das Gespräch führten, berichteten. Jedoch nährte die Zeitung selbst Zweifel an der Aussagekraft des Interviews. Wie «L’Équipe» mitteilte, habe man die Fragen im Voraus einreichen müssen. Viele ihrer Aussagen hätten gestellt gewirkt.
  • Auch bereits zuvor hatShuaibestritten, den Vorwurf eines sexuellen Übergriffs gegen einen chinesischen Spitzenpolitiker erhoben zu haben. In einem Video-Interview mit der Zeitung «Lianhe Zaobao» aus Singapur sagte die Tennisspielerin: «Ich habe niemals gesagt oder geschrieben, dass mich jemand sexuell angegriffen hat. Das muss ich mit Nachdruck feststellen.» Sie fühlt sich nach ihren Worten missverstanden. Es war das erste Mal, dass sich Peng Shuai vor laufender Kamera direkt dazu geäussert hat. Das Interview fand am Sonntag (19. 12.) am Rande einer Ski-Langlauf-Veranstaltung in Schanghai statt.Darin beschrieb Peng Shuai ihren Weibo-Post als «private Angelegenheit» und sagte, dass durch ihn bei Lesern möglicherweise «viele Missverständnisse» entstanden seien. Sie betonte auch, dass sie ungehindert in Peking lebe und nicht unter Aufsicht stehe. Auch ihre E-Mail an den WTA-Chef Steve Simon von Mitte November habe sie aus freien Stücken geschrieben. Darin hatte sie bereits betont, dass die Berichte über sie, «einschliesslich des Vorwurfs der sexuellen Nötigung», nicht wahr seien und dass es ihr gutgehe.Auf die Frage, ob sie ins Ausland reisen wolle, verwies Peng Shuai darauf, dass sie nicht mehr aktiv Tennis spiele und wegen der Pandemie gegenwärtig auch nicht die Absicht habe, China zu verlassen: «Was soll ich jetzt da draussen machen?»

Inhaltsverzeichnis

  • Welche Vorwürfe hat Peng Shuai erhoben?
  • Was ist nach der Publikation passiert?
  • Wie reagierte die Sportwelt auf das damalige Verschwinden?
  • Was sagen die chinesischen Behörden zum Fall Peng?
  • Verschwundene Menschen – hat das in China System?
  • Wer ist die Tennisspielerin Peng Shuai?

Welche Vorwürfe hat Peng Shuai erhoben?

Auf der chinesischen Social-Media-Plattform Weibo hat Peng am 2.November 2021 erklärt, vom chinesischen Vizepremierminister Zhang Gaoli zum Sex gezwungen worden zu sein.

Peng schrieb, sie habe zwischen 2007 und 2012 eine heimliche sexuelle Beziehung zu Zhang entwickelt. Damals war Zhang Parteisekretär der Küstenstadt Tianjin.

Sie hätten gemeinsam Tennis, Tischtennis und Schach gespielt und gesungen. Mindestens einmal soll Zhang sie zu Sex gezwungen haben. Die Zensoren löschten den Post nach zwanzig Minuten. Nie zuvor war ein so hohes Kadermitglied der Kommunistischen Partei des sexuellen Missbrauchs bezichtigt worden.

Was ist nach der Publikation passiert?

Nach dem Post ist Peng aus der Öffentlichkeit verschwunden. Die Angelegenheit sorgte weltweit für Schlagzeilen und für Sorgen um das Schicksal der Sportlerin.

Am 17.November 2021 wurde eine E-Mail von Peng an Steve Simon veröffentlicht, den CEO der Frauen-Tennisvereinigung (WTA). Das Schreiben wurde von chinesischen Staatsmedien verbreitet. Darin steht: «Die News, die die WTA über ihre Seite publizierte, sind nicht bestätigt und wurden ohne meine Zustimmung veröffentlicht.» Die Tatsachen, inklusive des Vorwurfs der sexuellen Belästigung, seien falsch. Ausserdem sei sie nicht verschwunden, so Peng Shuai weiter, sie habe sich einfach nur zu Hause ausgeruht.

Mitte November 2021 veröffentlichten chinesische Staatsmedien Bilder von Peng, die sie an einem Nachwuchsturnier sowie in einem Restaurant zeigen. Die Authentizität der verschiedenen Lebenszeichen wurde in Zweifel gezogen.

Can any girl fake such sunny smile under pressure? Those who suspect Peng Shuai is under duress, how dark they must be inside. There must be many many forced political performances in their countries. pic.twitter.com/2oDOghBTvA

— Hu Xijin 胡锡进 (@HuXijin_GT) November 21, 2021

Am 21.November führte der Präsident des Internationalen Olympischen Komitees (IOK), Thomas Bach, ein Videotelefonat mit Peng. In einer Mitteilung auf seiner Website teilt das IOK mit, es gehe Peng Shuai gut und sie sei in Sicherheit.

Nebst Bach war auch Emma Terho beim Gespräch dabei. Die finnische Vorsitzende der IOK-Athletenkommission sagte: «Ich war erleichtert, zu sehen, dass es Peng Shuai gutgeht. Sie machte einen entspannten Eindruck. Gleichzeitig habe ich ihr angeboten, mit ihr in Kontakt zu bleiben, wann immer sie das wünscht.» Einen Kommentar des IOK-Präsidenten Bach gab es nicht.

Die Mitteilung des IOK mag die schlimmsten Befürchtungen über den Verbleib von Peng zerstreut haben. Doch die Unklarheiten darüber, wie frei sie sprechen und sich bewegen kann, bleiben bestehen. Ihre Vorwürfe des sexuellen Missbrauchs gegen den hohen Parteikader Zhang Gaoli wurden beim Gespräch mit dem IOK offenbar nicht thematisiert.

Auf das jüngste Interview Peng Shuais mit der französischen Sportzeitung «L’Équipe» hat die WTA bisher noch keine Stellungnahme veröffentlicht.

Wie reagierte die Sportwelt auf das damalige Verschwinden?

Prominente Tennisspielerinnen und Tennisspieler protestierten unter dem Hashtag #WhereIsPengShuai in den sozialen Netzwerken gegen das Verschwinden von Peng und forderten Aufklärung. Dem Protest schlossen sich unter anderem auch Serena Williams, die Weltnummer 1 Novak Djokovic und Stan Wawrinka an. Roger Federer äusserte sich gegenüber dem TV-Sender Sky Italia. «Diese Nachrichten sind schon sehr beunruhigend», sagte Federer.

I am devastated and shocked to hear about the news of my peer, Peng Shuai. I hope she is safe and found as soon as possible. This must be investigated and we must not stay silent. Sending love to her and her family during this incredibly difficult time. #whereispengshuai pic.twitter.com/GZG3zLTSC6

— Serena Williams (@serenawilliams) November 18, 2021

Deutliche Worte fand der WTA-CEO Steve Simon. Er verlangte ein Lebenszeichen von Peng und drohte damit, die Geschäftsbeziehungen zu China abzubrechen. Angesichts des Gesprächs zwischen dem IOK und Peng sagte eine Sprecherin der WTA in der Nacht auf Montag (22.11.) gegenüber der «New York Times», die jüngsten Videos minderten die Sorge darüber nicht, dass Peng nicht unzensiert und frei von öffentlichem Druck sprechen könne. «Wir fordern weiterhin eine volle, faire und transparente Untersuchung von Pengs Shuais Vorwürfen eines sexuellen Übergriffs.»

"We're definitely willing to pull our business and deal with all the complications that come with it, because this is bigger than the business." -Women's Tennis Association chairman Steve Simon on threatening to pull out of China over a missing tennis star https://t.co/gZVVzz7mth pic.twitter.com/Wvpl8jnlOj

— OutFrontCNN (@OutFrontCNN) November 19, 2021

Was sagen die chinesischen Behörden zum Fall Peng?

In Peking äusserte sich mit Zhao Lijian, dem Sprecher des Aussenministeriums, am 23.November erstmals ein Regierungsvertreter offiziell zum Fall. China kritisierte das internationale Aufsehen um Peng scharf. Die Rede ist von bösartigen Unterstellungen. «Ich denke, einige Leute sollten aufhören, dieses Thema absichtlich und böswillig aufzubauschen», sagte Zhao Lijian.

Verschwundene Menschen – hat das in China System?

Immer wieder verschwinden in China bekannte Menschen: etwa der Alibaba-Gründer Jack Ma Ende 2020, nachdem er die Regulatoren öffentlich kritisiert hatte. Der Journalist Chen Qiushi verschwand, nachdem er im Frühjahr 2020 eigenständig aus Wuhan berichtet hatte. Die berühmte Schauspielerin Fan Bingbing verschwand 2018, nachdem ihr vorgeworfen worden war, Steuern hinterzogen zu haben.

Wenn die Personen nach Monaten oder Jahren wieder auftauchen, sagen sie nicht viel zu ihrem mysteriösen Abgang. Jack Ma meldete sich nach drei Monaten wieder mit einem kurzen Video, er wirkte stumpf und emotionslos. Chen Qiushi war erst nach achtzehn Monaten wieder in einem Youtube-Livestream zu sehen, er sah abgemagert aus. Es gebe vieles, über das er nicht sprechen könne, sagte er. Fan Bingbing erschien nach drei Monaten mit einem Schambekenntnis und einer Bitte um Verzeihung. «Ohne die gute Politik der Partei und des Staates, ohne die Liebe der Volksmassen gibt es keine Fan Bingbing», schrieb sie.

Das «Verschwinden» hat in China System und eine rechtliche Grundlage. Menschenrechtsorganisationen sprechen von staatlich organisiertem Kidnapping. Für sechs Monate kann eine Art Privatpolizei des Parteiapparats eine Person an einem geheimen Ort festhalten, ohne dass sie rechtlichen Beistand erhält oder dass Familienmitglieder informiert werden müssen.

Wohin die Menschen gebracht werden, ist unterschiedlich. Es kann sein, dass sie bei sich zu Hause überwacht werden, es kann ein Hotel sein, eine staatliche Wohnung oder eine schallisolierte Einzelzelle im Gefängnis.

Wer ist die Tennisspielerin Peng Shuai?

Im Steckbrief auf der WTA-Website steht, sie bewundere John McEnroe, das legendäre Enfant terrible. Peng Shuai kam 1986 in der Provinz Hunan zur Welt, mit 14 Jahren wurde sie zur weiteren sportlichen Ausbildung nach Boca Raton, Florida, geschickt, in die Tennisakademie der 18-fachen Grand-Slam-Turniersiegerin Chris Evert und von deren Bruder John. Vor dem Umzug hatte ein Herzfehler behoben werden müssen. Chris Evert erinnert sich in der «New York Times»: «Sie sprach kein Englisch, und sie blieb zwei Jahre bei uns. Sie war unglaublich schüchtern, und wir coachten sie vor allem mittels Zeichensprache. Wegen der Sprachbarriere war es schwierig für sie, sich einzuleben, ich spürte ihre Einsamkeit.»

Peng Shuai feierte primär als Doppelspielerin grosse Erfolge. Mit verschiedenen Partnerinnen gewann sie 23 Turniere, darunter zwei Majors: Wimbledon 2013 und das French Open 2014. 2014 führte sie während 20 Wochen die Weltrangliste an.

Als Einzelspielerin gewann Peng Shuai zwei WTA-Turniere, beide im Heimatland China, 2016 in Tianjin und 2017 in Nanchang. Ihr bestes Ranking erreichte sie 2011 als Weltnummer 14, das wertvollste Resultat am US Open 2014, als sie in den Viertelfinals den Lauf der damals erst 17-jährigen Belinda Bencic stoppte, ehe sie in den Halbfinals gegen Caroline Wozniacki verlor.

Peng Shuai wurde immer wieder von Verletzungen gestoppt. Zum ersten und bis jetzt einzigen globalen Tennisstar aus China stieg nicht sie auf, sondern die vier Jahre ältere Li Na. Li Na triumphierte 2011 am French Open und 2014 am Australian Open, stiess in der Weltrangliste bis auf den zweiten Platz vor – und galt wegen ihrer witzigen Art als Sympathieträgerin.

Peng Shuai wurde 2018 von der Tennis Integrity Unit für sechs Monate gesperrt, weil sie gegen eine Anti-Korruptions-Regel verstossen hatte. Kurz vor dem Wimbledon-Turnier wollte sie nach dem Meldeschluss die Doppelpartnerin wechseln, weshalb sie der Spielerin, mit der sie angemeldet war, Geld für deren Rückzug bot. Letztmals aktiv auf der WTA-Tour in Erscheinung trat Peng Shuai im Februar 2020 am Turnier in Doha. Am Sonntag, den 6. Februar 2022 gab sie ihren Rücktritt bekannt.

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Daniel Germann / dpa

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Author: Chrissy Homenick

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